Offener Brief

Offener Brief an das Bayerische Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst zur Situation der unabhängigen Verlage in Bayern

Sehr geehrte Regierungsdirektorin, liebe Dr. Donoughue,

ich wende mich heute an Sie mit einem Thema bzw. Problem, das mir schon lange und sehr am Herzen liegt.

Dazu muss ich etwas ausholen: Als das Bayerische Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst 2009 zum ersten Mal einen Preis für einen bayerischen Kleinverlag auslobte, war dies ein ebenso gutes wie wertschätzendes Signal für die unabhängigen Verlage in Bayern. Das in Bezug auf Erhalt und Förderung von Lesekompetenz, Bibliodiversität und kultureller Vielfalt so eminent wichtige unabhängige Verlegertum in Bayern fühlte sich zum ersten Mal »gesehen« und geschätzt. Zehn Jahre sind seither vergangen, zehn bayerische Verlage (2012 dankenswerterweise auch starfruit publications) wurden seitdem mit diesem Preis ausgezeichnet, er ist mit 7.500 Euro dotiert und wird aus mir unbekannten Gründen seit 2018 nur noch alle zwei Jahre vergeben.

Leider ist zu konstatieren, dass der einstmals so innovative Preis zur Förderung der unabhängigen bayerischen Verlagsszene von den Zeitläuften und der allgemeinen Entwicklung förmlich überrollt wurde und seinen ursprünglichen Intentionen nicht mehr gerecht wird. Die Situation der unabhängigen Verlage hat sich in den vergangenen Jahren massiv verschlechtert. In einem Zeitraum von fünf Jahren hat der Buchhandel laut Börsenverein des deutschen Buchhandels rund sechseinhalb Millionen Buchkäuferinnen und -käufer verloren; das BGH-Urteil zur VG-Wort bedeutete den Verlust wichtiger Ausschüttungen an die Verlage und die Verpflichtung zu Ausschüttungsrückzahlungen an die Verwertungsgesellschaften; durch die Anfang 2019 erfolgte Insolvenz des Branchenriesen KNV entstanden den Verlagen große Verluste; im Mai dieses Jahres verkündete die Deutsche Post, dass für Büchersendungen das Porto um bis zu 60 Prozent steigen soll, außerdem beschloss der Zwischenhändler Libri, seinen Titelbestand um rund 25 Prozent zu reduzieren, was natürlich nicht die Bestseller, sondern vor allem künstlerisch wertvolle – aber sich weniger schnell »drehende« – Titel aus kleineren Verlagen betrifft.

Generell steckt die Vermarktung der Bücher von unabhängigen Verlagen voller Hürden. Der deutsche (und internationale) Buchmarkt ist auf Bestseller fixiert. Bestsellerlisten aber sind nicht zu verwechseln mit Bestenlisten, auf diesen sind unabhängige Verlage regelmäßig vertreten, doch durch die Fixierung des Handels auf Bestseller und leicht zu vermarktende Bücher sowie ein darauf abgestimmtes Auslieferungssystem ist es für unabhängige Verlage nicht einfach, ihren Weg in die Auslagen der Buchhandlungen zu finden.

All diese Punkte hatten und haben deutlich sichtbare und spürbare Konsequenzen, sie führen u.a. zum Ausdünnen von Verlagsprogrammen, zu Insolvenzen (ich erinnere an dieser Stelle an den Münchner A1 Verlag) und zu einer weiteren Steigerung der für alle unabhängigen Verlage sowieso schon immer selbstverständlichen Selbstausbeutung und Querfinanzierung. Während Verlagskonzerne so kalkulieren, dass sich jedes Buch wirtschaftlich tragen muss bzw. einen Gewinn erzielen soll, leisten sich unabhängige Verlage – wenn sie von der Qualität und Wichtigkeit eines Buches überzeugt sind – auch Bücher für einen zunächst nur kleinen Leser*innenkreis. Unabhängige Verlage stehen für verlegerischen Wagemut und Engagement, ihre Leidenschaft für die Sache ist in der Regel und glücklicherweise größer als ihre wirtschaftliche Vernunft.

Ein wesentlicher Markstein, um die schwierige Situation der unabhängigen Verlagsszene zu verbessern, war daher die 2018 von 64 unabhängigen Verlagen aus dem ganzen Bundesgebiet verabschiedete »Düsseldorfer Erklärung«, die von Literatur als einem »förderungswürdigen Kulturgut« spricht und in die breit publizierte Forderung nach staatlicher Förderung für unabhängige Verlage mündete. Unabhängige Verlage, heißt es in der Düsseldorfer Erklärung, verlegen zum Beispiel Lyrik und andere besondere, selten massentaugliche Texte, ihr Antrieb besteht nicht in der Gewinnmaximierung, sondern im Einsatz für Autor*innen und der Behandlung von Themen, die für die Gestaltung und Weiterentwicklung unserer kulturellen Landschaft den nötigen Treibstoff liefern. Verlegerische Arbeit sei in diesem Sinne als ein »künstlerisches Projekt« anzusehen, Verleger*innen arbeiten wie Künstler*innen »und nehmen große Risiken nicht nur für einzelne Titel, sondern ganze Programme auf sich« (Axel von Ernst).

Insofern leisten unabhängige Verlage für die Kulturszene Pionierarbeit – als Entdecker, Förderer und Vermittler neuer Positionen und Tendenzen sind sie Garant für kulturelle Vielfalt und kulturellen Fortschritt und haben für unsere Gesellschaft eminente kulturpolitische Bedeutung. Es besteht allgemeiner Konsens, dass es, um Bibliodiversität und Lesekompetenz als Grundlage für eine funktionierende demokratische Gesellschaft zu erhalten, dringend einer öffentlichen Förderung für literarische Verlage bedarf, wie sie für Programmkinos, für Ausstellungshäuser zeitgenössischer Kunst, für Jazzfestivals, Theater, Oper und andere sich nicht selbst tragen könnende Kunstformen längst selbstverständlich ist. Tagtäglich erleben wir in den sozialen Medien eine zunehmende Verrohung der Sitten und der Sprache. Gute Bücher und gute Literatur sind eine gute Waffe gegen Rohheit und Dummheit, auch deshalb müssen wir uns für sie einsetzen.

Ein Hoffnungszeichen ist in diesem Zusammenhang der Deutsche Verlagspreis, den die Staatsministerin für Kultur und Medien, Prof. Monika Grütters, in diesem Jahr auf der Frankfurter Buchmesse erstmals vergeben hat. Einerseits ein Hoffnungszeichen, andererseits aber nur ein Tropfen auf den heißen Stein, den es nun nicht nur auf Bundes-, sondern auch auf Länderebene weiter abzukühlen gilt. So hat die Stadt Berlin – in ihrer Wirtschaftskraft dem Freistaat Bayern weit unterlegen – 2018 einen jährlichen Berliner Verlagspreis ausgelobt, der mit insgesamt 65.000 Euro für je einen Hauptpreis und zwei Förderpreise dotiert ist. Hier kann man tatsächlich von einem ernsthaften Bemühen um Verlagsförderung sprechen.

Was das Bundesland Bayern betrifft, möchte ich mich hiermit zum Fürsprecher einer angemessenen Förderpolitik für unabhängige Verlage machen, wobei ich bekennen muss, dass eine kürzlich erschienene Zeitungsmeldung mich in diesem Zusammenhang zunächst extrem irritiert und dann extrem motiviert hat. Ich kann es noch immer kaum glauben, aber es scheint wohl tatsächlich der Fall zu sein, dass der Freistaat Bayern dem aus Funk und Fernsehen bekannten Komödianten-Duo Volker Heißmann und Martin Rassau alias »Waltraud & Mariechen« (Comödie Fürth) in diesem Jahr für eine die Theaterkunst sicher nicht grundlegend revolutionierende Neuinszenierung der Operette »Die Lustige Witwe« sage und schreibe 50.000 Euro (!!) an kulturellen Fördermitteln zugesprochen hat. Das macht mich bis heute fassungslos.

Ich neide niemandem etwas, schon gar nicht den »fränkischen Sahneschnittchen« (Bayerischer Rundfunk) »Waltraud & Mariechen«, aber im Vergleich zu Dotierung und Frequenz des Bayerischen Verlagspreises ist das für mich, als würde man den Spielern des Branchenführers Bayern München mit staatlichen Fördermitteln die Fußballschuhe vergolden und zu den kleinen Fußballvereinen, die sich um die Ausbildung junger Talente und die Entwicklung neuer Spielformen bemühen, sagen: Regt euch nicht auf, wir fördern euch doch auch, Ihr alle gemeinsam bekommt von uns alle zwei Jahre ein neues Eckfähnchen.

Es kann doch nicht sein, dass auf der Hauptwelle des Mainstreams surfende und kommerziell höchst erfolgreiche Unterhaltungskünstler, denen ich ihre Daseinsberechtigung nicht grundsätzlich absprechen möchte, vom Freistaat eine üppige Förderung erhalten, während seit Jahrzehnten für das Überleben des Kulturgutes Buch und um das eigene Überleben kämpfende unabhängige Verlage in Bayern nicht auch nur ansatzweise die Unterstützung erhalten, die sie verdienen.

Künstlerische Qualität und Innovation, Experiment und Eigenwilligkeit, verlegerisches Risiko und persönlicher Wagemut bedürfen der staatlichen kulturellen Förderung, hier werden neue Formen erprobt und wichtige Inhalte vermittelt, hier wird Zukunft diskutiert und gestaltet, hier bekommt unsere Kultur die Impulse, Anregungen und Vitamine, die sie für ihre Weiterentwicklung so dringend braucht.

Liebe Dr. Donoughue, ich finde es aufgrund der oben geschilderten Punkte überfällig, in naher Zeit gemeinsam zu überlegen, mit welchen strukturellen Hilfen die Arbeit der unabhängigen Verlage in Bayern nachhaltig gefördert und gesichert werden kann.

Ich möchte Ihnen daher vorschlagen, die Unterzeichner*innen dieses Schreibens zu einem Round-Table-Gespräch ins Bayerische Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst in München einzuladen. Sehr hilfreich wäre es, bei dem Treffen auch auf die Expertise von Fachleuten zurückzugreifen, die sich seit langem kompetent mit diesem Thema beschäftigen. Ich schlage deshalb vor, auch eine Vertreterin bzw. einen Vertreter des Vorstandes der Kurt-Wolff-Stiftung – die sich für die Interessen unabhängiger deutscher Verlage engagiert und ihren Sitz im »Haus des Buches« in Leipzig hat – sowie Axel von Ernst, gemeinsam mit Viola Eckelt Initiator und Organisator des verdienstvollen Hotlist-Preises der unabhängigen Verlage, zu diesem Gespräch einzuladen.

Gemeinsam sollte es uns möglich sein, eine gute Lösung für die genannten Probleme zu erarbeiten.

Ich bzw. wir freuen uns auf Ihre Antwort.

Mit herzlichen Grüßen

Manfred Rothenberger, starfruit publications, Fürth

Auch im Namen von:

Eva Bauernfeind und Kristina Pöschl, Lichtung Verlag, Viechtach

Laura Jacobi und Joseph Reinthaler, homunculus verlag, Erlangen

Sarah Käsmayr, Maro Verlag, Augsburg

Wilhelm Koch, Büro Wilhelm Verlag, Amberg

Norbert Treuheit, Ars Vivendi Verlag, Cadolzburg

Silke Weniger, edition fünf, Gräfelfing

Sebastian Zembol, Mixtvision Mediengesellschaft mbH, München